Nein, hat er nicht. Es gibt keinen einzigen Fall in den Büchern, Unterweisungen oder Gesprächen des Ehrwürdigen Geshe Kelsang, in dem er behauptete, der „dritte Buddha“ zu sein. Tenzin Peljor bezieht sich in einem Blog der Tricycle Herausgeber auf Geshe Kelsang Gyatso: „In der NKT gibt es einen Autokraten und er nutzt seine Macht auf autokratische Weise.“ Die „NKT Survivors“ stellen manchmal ähnliche Behauptungen auf. Aber Geshe Kelsang hat niemals Verehrung von seinen Schülern verlangt oder gesagt: „Ich bin euer spiritueller Meister“ oder „Ihr müsst dem folgen, was ich sage“. Auch unter vier Augen hat er solche Dinge nie gesagt.

Geshe Kelsang benutzte nie irgendwelche selbstverherrlichenden Ausdrücke in Bezug auf sich selbst – er war sehr bescheiden und schrieb jeden Erfolg oder jede gute Eigenschaft, die er besaß, Je Tsongkhapa und seinem spirituellen Meister Vajradhara Trijang Rinpoche zu. Er behauptete nie, eine endgültige spirituelle Autorität zu sein. In der Einführung zu einer Unterweisung 1996 in Kalifornien sagte Geshe Kelsang Gyatso:

Ich bin ein buddhistischer Mönch, ich komme aus Tibet. Ich werde normalerweise Geshe Kelsang genannt, mein richtiger Name ist Kelsang Gyatso. Ich bin keine besondere Person, nur ein bescheidener buddhistischer Praktizierender. Es gibt vier verschiedene Traditionen in Tibet und ich gehöre der Gelugpa Tradition an. Trijang Dorjechang ist der Linienhalter der Gelugpa Tradition. Er ist unser oberster Lama, Hauptlama, Linienhalter, unser Vater. Ich wurde von ihm geboren. Meine Überlieferungslinie, alle meine Unterweisungen über Sutra und Tantra, stammen von ihm. Deshalb sind meine Schüler, die jetzt Unterweisungen geben, auch diese Linie und haben den ungebrochenen Segen dieser Linie. Dadurch, dass ich seinen Segen erhalten habe, habe ich nun die Möglichkeit, westlichen Menschen in ihrer spirituellen Entwicklung zu helfen. Alle meine Fähigkeiten zu lehren, Bücher zu schreiben, zu organisieren, zu helfen, alles kam von diesem Lama. Ohne diesen Lama ist Geshe Kelsang machtlos. Er ist noch immer mein Leben.

In einer Belehrung vor einer Je Tsongkhapa Ermächtigung im Jahr 1995 sagte er:

Wir können denken, wie es möglich ist, dass ein törichter Mann wie ich fünfzehn Dharma Bücher schreiben kann? Diese unterscheiden sich sehr von anderen Büchern. Die Dharma Bücher der NKT, die wir als Themen unseres Studiums und unserer Praxis verwenden, sind nicht nur eine Sammlung von Vorträgen. Sie sind vollständig mit Urtext, Kommentar und Textübersicht, die perfekt wie Dharma Schriften gestaltet sind. Wie kann ein törichter Mann diese Bücher schreiben? Ich kann sagen, dass Je Tsongkhapas Lehren, weil sie so tiefgründig, wertvoll und klar sind, Geshe Kelsang die Möglichkeit geben, diese Bücher zu schreiben. Alle Erklärungen der NKT Dharma Bücher stammen aus Je Tsongkhapas Lehren. Weil diese Unterweisungen so besonders sind, hat sogar ein bescheidener Praktizierender und törichter Mann wie ich die Möglichkeit, solche schönen Bücher zu präsentieren. Allein dadurch können wir die herausragenden guten Eigenschaften von Je Tsongkhapa verstehen.

Geshe Kelsang hat auch gelehrt, wie man sich nicht in unangemessener oder kultischer Art und Weise auf einen spirituellen Meister verlässt. Die traditionellen Anleitungen des Buddha über Guru Hingabe müssen in einem modernen westlichen Kontext sorgfältig verstanden und praktiziert werden. Geshe Kelsang sagte zum Beispiel 2008 in Paris:

Im Allgemeinen ist natürlich das Sichverlassen auf den spirituellen Meister die Wurzel von Dharma Verwirklichungen, wie Buddha Vajradhara in den Lehren des Höchsten Yoga Tantra und Buddha Shakyamuni in den Sutra Lehren sagten. Diese Lehre ist überall zu finden – von Buddha Shakyamuni bis zu unserem heutigen Lehrer hat jeder Lehrer dies einhellig gelehrt. Wir können dies nicht ändern. Doch weil Gesellschaft, Zeiten und andere Bedingungen anders sind, müssen wir vorsichtig sein. Was wir sagen und was wir wollen, sollte immer in der Mitte bleiben, niemals extrem sein. 

Geshe Kelsang erklärte, dass es, um die Verwirklichungen der Stufen des Pfades zur Erleuchtung zu erlangen, zwar eine traditionelle und essenzielle buddhistische Unterweisung ist, seinen spirituellen Meister als Buddha zu betrachten. Dass diese Sichtweise aber im Herzen bewahrt und nicht verbalisiert werden muss. Und ebenso dürfen auch die Lehrer und Schüler nicht behaupten, dass sie heilige Wesen sind (egal, ob sie es sind oder nicht). Diese Unterweisung sollte auch nicht dazu führen, dass Menschen unangemessen handeln, sondern in Übereinstimmung mit den Normen unserer Gesellschaft. Er erklärte:

Je Tsongkhapa lehnte es entschieden ab, Hellsichtigkeit und Wunderkräfte zu offenbaren oder körperliche oder mündliche Hinweise darauf zu geben, dass wir ein heiliges, reines oder erleuchtetes Wesen sind.

Der einzige Grund, einen spirituellen Meister zu haben, ist der, Anleitung auf dem spirituellen Weg zu erhalten. Und der einzige Grund, diesem spirituellen Meister zu folgen oder sich auf ihn zu verlassen, ist, auf diesem spirituellen Weg Fortschritte zu machen – nie aber, um weltliche Macht oder Erfolg zu erlangen. Geshe Kelsang sagte im Oktober 2008 in Paris:

Um zu verstehen, wer unser spiritueller Meister ist, sollten wir wissen, was der spirituelle Pfad ist. Wenn wir das wissen, können wir verstehen, wie jemand unser spiritueller Meister sein kann. (…) Wenn wir verstehen, dass die Qualifikation oder Eigenschaft des Lehrers darin besteht, seine Schüler aufrichtig zu richtigen spirituellen Pfaden zu führen (hauptsächlich die Schulungen in Entsagung, allumfassendem Mitgefühl und der richtigen Sicht der Leerheit), indem er Unterweisungen gibt und ein gutes Vorbild ist, brauchen wir uns keine Sorgen machen. Er oder sie wird uns niemals betrügen. Andernfalls könnten wir betrogen werden.

Seid also vorsichtig, haltet den Dharma rein und erlaubt nie extreme Ansichten. Lehrer sollten den Dharma nie für ihre Position nutzen und Schüler sollten ihre Lehrer nie für ihre Position benutzen. Wir sollten der Guru Hingabe nur entsprechend der Entwicklung der Dharma Verwirklichungen folgen. Da sich die moderne Welt so sehr entwickelt hat, ist es sehr einfach, in einer extremen Art und Weise zu folgen. Wir wissen, dass es in anderen Religionen dieses Extrem gibt, Lehrer sagen etwas und ihre Schüler folgen ihnen sofort, und das verursacht bei so vielen Menschen Leid. Es ist sehr wichtig, diese Art von Dingen zu verhindern.

Lehrer sollten nie zeigen: „Ich bin ein heiliges Wesen, ich bin Buddha“ und so weiter, und auch die Schüler sollten nie sagen: „Mein Lehrer ist ein Buddha“. Das ist lachhaft. Zu sagen „Mein Lehrer ist Heruka“ oder „Mein Lehrer ist Vajrayogini“ ist keine angemessene Unterhaltung! Wir sollten genauso sprechen und handeln, wie es normal ist. Wir sollten respektieren, was die Menschen in der Gesellschaft glauben. Andernfalls werden wir isoliert sein, wenn wir uns auf seltsame Art und Weise, die von der Gesellschaft nicht akzeptiert wird, verhalten und reagieren. Man wird uns nie schätzen. Selbst vertrauensvolle Schüler  reden nie so. Ich habe zum Beispiel viele vertrauensvolle Studenten, aber sie sagen nie: „Geshe Kelsang ist Heruka“ oder „Er ist Buddha“ oder „Er ist Lama Tsongkhapa“. Sie sagen das nie.

Das Versterben von Geshe Kelsang Gyatso

Als Geshe Kelsang im September 2022 verstarb, brach er mit den Konventionen für hohe Lamas, indem er sich nicht für eine Einbalsamierung oder eine dauerhafte Gedenkstätte wie einen Pilgerstupa entschied, sondern stattdessen darum bat, dass seine Asche im Ozean verstreut wird. Er hinterließ auch keine Anleitungen für Gebete für seine baldige Rückkehr, wie es sonst typisch wäre.

Mehr zur Praxis, sich auf den spirituellen Meister zu verlassen, siehe die Antwort auf diese Frage: Verlässt sich die Neue Kadampa Tradition übermäßig auf einen Lehrer?